Fahrtenbuchauflage für den gesamten Firmenfuhrpark – was das OVG Lüneburg entschieden hat und worauf Unternehmen achten sollten
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.09.2025 – 12 LA 8/24) hatte über eine Fahrtenbuchauflage zu entscheiden, die es in sich hatte: Eine Kapitalgesellschaft wurde verpflichtet, für sämtliche 15 Fahrzeuge ihres Firmenfuhrparks ein Fahrtenbuch zu führen – und zwar für die Dauer von zwölf Monaten.
Der Hintergrund: wiederholte, punktebewertete Verkehrsverstöße mit Firmenfahrzeugen, bei denen der jeweilige Fahrer nicht ermittelt werden konnte. Trotz früherer, milderer Auflagen hatte das Unternehmen keine wirksame Organisation geschaffen, um Fahrer zuverlässig zuzuordnen. Das Gericht bestätigte die Entscheidung und nutzte den Fall, um die Maßstäbe für Fahrtenbuchauflagen bei Unternehmen zu präzisieren.
1. Rechtlicher Hintergrund
Nach § 31a StVZO kann die Behörde einem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuchs auferlegen, wenn nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften der Fahrer nicht festgestellt werden kann.
Während bei Privatpersonen in der Regel nur das eigene Fahrzeug betroffen ist, kann sich die Anordnung bei Unternehmen – insbesondere bei Poolfahrzeugen oder größeren Fuhrparks – auf sämtliche Fahrzeuge erstrecken.
Das OVG Lüneburg hat klargestellt, dass eine solche Maßnahme jedenfalls dann zulässig ist, wenn bereits eine frühere Fahrtenbuchauflage ergangen war, der Halter trotz dieser Erfahrung keine tauglichen Identifikationsmaßnahmen eingeführt hat und weiterhin regelmäßig punktebewertete, aber unaufklärbare Verstöße mit Firmenfahrzeugen auftreten.
Die Fahrtenbuchauflage ist kein Sanktionsmittel, sondern dient der Gefahrenabwehr. Sie soll sicherstellen, dass künftige Verkehrsverstöße aufgeklärt werden können.
2. Organisationspflicht des Unternehmens
Besonders betont hat das Gericht die Pflicht von Kapitalgesellschaften, organisatorisch Vorsorge zu treffen, damit jederzeit nachvollziehbar bleibt, wer welches Fahrzeug geführt hat. Diese Obliegenheit ergibt sich nicht aus handelsrechtlichen Vorschriften, sondern aus dem allgemeinen Halterprinzip.
Wer seinen Mitarbeitern Fahrzeuge zur Verfügung stellt, muss sicherstellen, dass Verstöße im Nachhinein aufgeklärt werden können. Die Rechtsprechung erwartet daher ein Mindestmaß an Selbstorganisation, etwa durch:
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Fahrerlisten oder Buchungssysteme bei Poolfahrzeugen,
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Schlüsselvergabe mit Dokumentation,
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Nutzungsprotokolle oder digitale Fahrtenbuchlösungen,
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verbindliche Dienstanweisungen und regelmäßige Kontrolle.
Fehlen solche Strukturen, kann die Behörde von einem Mitwirkungsdefizit ausgehen und eine Fahrtenbuchauflage anordnen.
3. Zur Dauer und Reichweite der Fahrtenbuchauflage
Die zwölfmonatige Auflage für alle 15 Fahrzeuge hielt das OVG für verhältnismäßig. Eine derart weitreichende Maßnahme kann nach Auffassung des Gerichts auch über ein Jahr hinaus gerechtfertigt sein, wenn sich der Halter wiederholt und beharrlich weigert, seiner Identifikationspflicht nachzukommen.
Bemerkenswert ist auch der verfahrensrechtliche Aspekt: Der Landkreis hatte die Begründung zur Dauer der Auflage im Ausgangsbescheid nur knapp gehalten, diese im gerichtlichen Verfahren aber nachträglich ergänzt. Das OVG sah dies als zulässig an. Nach § 114 Satz 2 VwGO und § 45 VwVfG dürfen Ermessensgründe ergänzt oder präzisiert werden, solange die Behörde bereits beim Erlass der Verfügung entsprechende Überlegungen angestellt hatte.
Für die Praxis bedeutet das: Auch ein zunächst formell schwach begründeter Bescheid kann im gerichtlichen Verfahren noch „geheilt“ werden – ein Umstand, der bei der Verteidigung gegen solche Auflagen stets berücksichtigt werden sollte.
4. Was Unternehmen jetzt beachten sollten
Die Entscheidung zeigt deutlich, dass sich Fahrtenbuchauflagen vermeiden lassen, wenn innerbetriebliche Strukturen vorhanden und dokumentiert sind. Empfehlenswert ist insbesondere:
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Klare Zuweisung von Fahrzeugen: Wer darf was fahren?
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Verlässliche Erfassung jedes Fahrers, etwa über elektronische Buchung oder eine einfache Liste.
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Anweisung an Mitarbeiter, Verkehrsverstöße sofort zu melden.
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Regelmäßige Kontrolle, ob das System tatsächlich funktioniert.
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Datenschutzrechtliche Absicherung, insbesondere hinsichtlich Speicherfristen und Zugriffsrechten.
Gerade bei Poolfahrzeugen reicht es nicht, im Nachhinein zu spekulieren, wer am Steuer gesessen haben könnte. Die Behörden verlangen nachvollziehbare, objektive Aufzeichnungen – unabhängig davon, ob der Fahrer auf einem Blitzerfoto erkennbar ist.
5. Auch Privatpersonen sind betroffen
Auch private Fahrzeughalter können zur Fahrtenbuchführung verpflichtet werden, wenn sie wiederholt erklären, nicht mehr zu wissen, wer gefahren ist. Wer sein Fahrzeug regelmäßig an Dritte überlässt, sollte deshalb zumindest einfache Aufzeichnungen führen oder den Nutzerkreis klar begrenzen.
6. Warum anwaltliche Unterstützung frühzeitig sinnvoll ist
Ein Anwalt im Verkehrsrecht kann schon im frühen Stadium eines Verfahrens entscheidend dazu beitragen, eine Fahrtenbuchauflage zu vermeiden oder ihre Reichweite zu begrenzen.
Er prüft, ob die Ermittlungen der Bußgeldstelle ordnungsgemäß waren und ob die Voraussetzungen des § 31a StVZO tatsächlich vorliegen. Er kann die Kommunikation mit der Behörde so steuern, dass kein Mitwirkungsmangel entsteht, und gegebenenfalls auf eine einzelfahrzeugbezogene oder kürzere Auflage hinwirken.
Zudem kann der Anwalt prüfen, ob eine Fahrtenbuchauflage formal und inhaltlich ordnungsgemäß begründet wurde, ob die Behörde ihr Ermessen korrekt ausgeübt hat und ob eine nachträgliche Ergänzung der Begründung überhaupt zulässig ist.
Schließlich kann im Vorfeld gemeinsam mit dem Unternehmen ein internes Organisationskonzept entwickelt werden, das rechtlich belastbar ist und künftige Verfahren von vornherein vermeidet.
Fazit
Das OVG Lüneburg hat die Anforderungen an Unternehmen mit Firmenfuhrparks deutlich geschärft. Wer seine Fahrzeuge regelmäßig unterschiedlichen Mitarbeitern überlässt, muss sicherstellen, dass die Fahrer jederzeit identifizierbar sind. Andernfalls droht eine umfassende und langwierige Fahrtenbuchauflage, die organisatorisch und wirtschaftlich erheblich belastet.
Eine frühzeitige anwaltliche Beratung hilft, die internen Strukturen so auszugestalten, dass es gar nicht erst zu einer solchen Anordnung kommt – und, falls sie bereits im Raum steht, die Verteidigung mit den richtigen juristischen Argumenten zu führen.
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