Auffahrunfall nach Spurwechsel – wer haftet?

Auffahrunfall Anscheinsbeweis

Auffahrunfall nach Spurwechsel – wer haftet?

LG Lübeck: 40/60-Quote bei Auffahrunfall nach riskantem Spurwechsel (Urteil vom 26.09.2024 – 14 S 40/23)

Ein Moment der Unachtsamkeit, ein schneller Spurwechsel – und schon kracht es: Auffahrunfälle gehören zu den häufigsten Verkehrsunfällen in Deutschland. In der Regel gilt: Der Auffahrende ist schuld. Doch ganz so einfach ist es nicht immer. Besonders dann, wenn dem Auffahrunfall ein fehlerhafter Fahrstreifenwechsel vorausgeht, stellt sich die Frage: Wer trägt die Verantwortung, und in welchem Umfang?

Mit dieser Konstellation befasste sich das Landgericht Lübeck in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 26.09.2024 – 14 S 40/23) und kam zu einer differenzierten Haftungsverteilung. Das Urteil ist für alle Verkehrsteilnehmer und insbesondere für Unfallgeschädigte von großer Bedeutung.


Typische Ausgangslage: Auffahrunfall, Spurwechsel und Anscheinsbeweis

Bei Auffahrunfällen gilt zunächst ein Anscheinsbeweis: Wer auffährt, war entweder zu schnell oder hat den Sicherheitsabstand nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO nicht eingehalten. Die Gerichte gehen regelmäßig davon aus, dass der Auffahrende den Unfall vermeiden konnte und daher haftet.

Dieser Grundsatz ist jedoch nicht absolut. Er wird durchbrochen, wenn besondere Umstände hinzutreten, die den Unfall maßgeblich beeinflusst haben – wie z. B. ein plötzlicher Spurwechsel.


Der Fall vor dem LG Lübeck

Im entschiedenen Fall wechselte die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs knapp vor einem anderen Wagen die Spur. Dieses Fahrzeug konnte noch rechtzeitig bremsen und eine Kollision vermeiden.
Die Klägerin, die sich hinter diesem Fahrzeug befand, konnte nicht mehr reagieren und fuhr auf.

Das Amtsgericht Ahrensburg sah die Alleinhaftung bei der Auffahrenden und wies die Klage ab. Doch das Landgericht Lübeck bewertete die Situation anders: Es stellte fest, dass beide Fahrerinnen Verkehrsverstöße begangen hatten.


Verstöße beider Beteiligter

  • Klägerin (Auffahrende): Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO, da der Abstand nicht ausreichte, um auf das Bremsen des Vordermanns zu reagieren.

  • Beklagte (Spurwechslerin): Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO, weil ein Spurwechsel nur erlaubt ist, wenn eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist. Hier wurde knapp vor einem anderen Fahrzeug eingeschert, möglicherweise ohne Blinken.

Damit lagen auf beiden Seiten schuldhafte Verursachungsbeiträge vor.


Die Haftungsabwägung: 40 % zu 60 %

Nach § 17 StVG müssen die jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteile gegeneinander abgewogen werden.

Das Landgericht argumentierte:

  • Der Spurwechsel war fehlerhaft und mitursächlich für den Unfall. Ohne das Einscheren wäre es gar nicht zum Auffahren gekommen.

  • Dennoch fuhr die Klägerin nicht direkt hinter dem Beklagtenfahrzeug, sondern auf das dazwischenfahrende Auto auf. Dieses konnte rechtzeitig reagieren – die Klägerin hingegen nicht.

  • Deshalb sei das Geschehen „mehr auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen“, aber der Spurwechsel dürfe nicht völlig außer Betracht bleiben.

Ergebnis: Haftungsquote 40 % zu Lasten der Spurwechslerin, 60 % zu Lasten der Auffahrenden.


Höherstufungsschaden in der Kaskoversicherung

Ein weiterer wichtiger Punkt: Das Gericht bestätigte auch den Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Prämienmehrkosten in ihrer Vollkaskoversicherung.
Wenn ein Versicherungsnehmer nach einem unfallbedingten Schaden von seiner Versicherung zurückgestuft wird, kann er den daraus resultierenden finanziellen Nachteil als Höherstufungsschaden geltend machen – soweit der Unfallgegner (bzw. dessen Haftpflichtversicherung) dafür mitverantwortlich ist.

Das Landgericht Lübeck stellte klar: Auch dieser Schaden ist von der Beklagten anteilig (40 %) zu erstatten.


Praxisbedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung zeigt deutlich:

  • Der Anscheinsbeweis beim Auffahrunfall kann entkräftet oder relativiert werden, wenn ein fehlerhafter Spurwechsel vorliegt.

  • Der Spurwechsler haftet mit, wenn sein Fahrverhalten in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Auffahrunfall steht.

  • Die Haftungsquote hängt stark von den konkreten Umständen ab. Typische Quoten in solchen Konstellationen bewegen sich zwischen 30/70 und 50/50.

  • Auch Versicherungsfolgen wie der Höherstufungsschaden können geltend gemacht werden – ein Aspekt, den viele Geschädigte übersehen.


Unser Fazit

Das Urteil des LG Lübeck verdeutlicht, dass die Alleinhaftung des Auffahrenden nicht in Stein gemeißelt ist. Spurwechsel mit unzureichender Sorgfalt können zu einer Mithaftung führen – und zwar auch dann, wenn der Auffahrende objektiv den Abstand nicht eingehalten hat.

Für Unfallbeteiligte bedeutet das:

  • Dokumentieren Sie den Unfallhergang sorgfältig. Fotos, Zeugenaussagen und Angaben zum Blinken sind entscheidend.

  • Prüfen Sie Ansprüche umfassend – nicht nur Reparaturkosten, sondern auch Nutzungsausfall und mögliche Versicherungsmehrkosten.

  • Lassen Sie die Haftungsfrage anwaltlich überprüfen. Schon kleine Unterschiede im Sachverhalt können die Quote erheblich verschieben.


Sie hatten einen Auffahrunfall nach Spurwechsel?

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Ihr Ansprechpartner für Verkehrsrecht in Berlin – Rechtsanwalt Thomas Brunow

Thomas BrunowRechtsanwalt Thomas Brunow ist Ihr erfahrener Rechtsanwalt für Verkehrsrecht in Berlin Mitte. Als Spezialist auf diesem Gebiet vertritt er Mandanten ausschließlich in verkehrsrechtlichen Angelegenheiten – von der Schadenregulierung über Bußgeldverfahren bis hin zur Verteidigung in Verkehrsstrafsachen.

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📍 Eichendorffstraße 14, 10115 Berlin
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Rotlichtverstoß trotz Grün? Fahrverbot!

Rotlichtverstoß

Rotlichtverstoß trotz Grün? – Wann das Überfahren der Haltelinie zu Problemen führt

Ein Rotlichtverstoß gehört zu den schwerwiegenden Verkehrsordnungswidrigkeiten. Neben einer hohen Geldbuße droht in vielen Fällen ein Fahrverbot, Punkte in Flensburg und eine empfindliche Verlängerung der Probezeit.

Doch nicht immer ist der Fall so eindeutig, wie es zunächst scheint. Die Gerichte beschäftigen sich regelmäßig mit Konstellationen, in denen ein Autofahrer zwar bei Grün die Haltelinie überfährt, aber aufgrund von stockendem Verkehr oder Unsicherheit erst später in die Kreuzung einfährt – dann aber bereits bei Rot. Eine aktuelle Entscheidung verdeutlicht, wie schnell man sich in einer solchen Situation einem Rotlichtverstoß ausgesetzt sehen kann.


Der Ausgangsfall: Halt hinter der Ampel – Unfall beim Abbiegen

Eine Autofahrerin näherte sich in den frühen Morgenstunden einer Kreuzung. Sie überfuhr die Haltelinie noch bei Grün, kam jedoch kurz hinter der Ampel wegen zähfließenden Verkehrs zum Stehen.

Nach einigen Sekunden löste sich die Stockung. Währenddessen hatte der Querverkehr bereits mehrere Sekunden Grün und bewegte sich ungebremst durch die Kreuzung. Als die Fahrerin schließlich einbog, kollidierte sie mit einem bevorrechtigten Fahrzeug.

Das Amtsgericht verurteilte sie wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 240 € und verhängte ein einmonatiges Fahrverbot. Auf ihre Rechtsbeschwerde hob das Obergericht dieses Urteil auf – allerdings nicht, weil es den Rotlichtverstoß für ausgeschlossen hielt, sondern weil die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft waren.


Rechtlicher Hintergrund: Wann liegt ein Rotlichtverstoß vor?

Die Straßenverkehrs-Ordnung (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO) bestimmt klar: Bei Rot gilt Halt vor der Kreuzung.
Das bedeutet:

  1. Überfahren der Haltelinie allein genügt nicht. Ein Rotlichtverstoß liegt erst dann vor, wenn ein Fahrer in den durch das Rotlicht geschützten Kreuzungsbereich einfährt.

  2. Kreuzungsräumerprivileg: Wer bereits im Kreuzungsbereich steht, darf diesen grundsätzlich auch dann noch räumen, wenn die Ampel auf Rot schaltet. Das gilt nicht für Fahrer, die sich noch im Bereich zwischen Haltelinie und Kreuzung befinden.

  3. Pflicht zur Vorsicht bei verdeckter Ampel: Selbst wenn die Ampel aus der neuen Position nicht mehr sichtbar ist, muss der Fahrer damit rechnen, dass sie inzwischen auf Rot umgeschaltet hat.


Was zählt zum „Kreuzungsbereich“?

Entscheidend ist die Abgrenzung des Kreuzungsbereichs. Die Rechtsprechung orientiert sich hier an den sogenannten Fluchtlinien der Kreuzung. Dabei gilt:

  • Der geschützte Bereich umfasst nicht nur die Fahrbahn für Fahrzeuge, sondern auch Fußgängerüberwege und Radwege.

  • Wer sich bereits mit Teilen des Fahrzeugs in einer Fußgängerfurt oder auf einem Radweg befindet, hat den Kreuzungsbereich bereits erreicht.

  • Erst wenn sich das Fahrzeug vollständig außerhalb dieses Bereichs befindet, liegt noch kein Einfahren in den Kreuzungsbereich vor.

Die Gerichte müssen daher im Einzelfall präzise feststellen, wo genau sich das Fahrzeug beim Umschalten der Ampel befand. Diese Feststellungen fehlten im aufgehobenen Urteil – es blieb unklar, ob die Autofahrerin tatsächlich noch vor oder bereits im Kreuzungsbereich stand.


Warum das Urteil aufgehoben wurde

Das Obergericht bemängelte, dass das Amtsgericht die örtlichen Gegebenheiten nur unzureichend beschrieben hatte. Es hieß lediglich, das Fahrzeug habe nicht in die Querstraße „hineingeragt“. Doch das sagt nichts darüber aus, ob die Fahrerin vielleicht bereits eine Fußgängerfurt oder Radspur überfahren hatte.

Ohne diese Feststellungen ist eine rechtliche Prüfung nicht möglich. Denn:

  • Wenn sie noch vor dem Kreuzungsbereich stand, war ihr spätere Fahrt bei Rot ein Rotlichtverstoß.

  • Wenn sie bereits im Kreuzungsbereich war, konnte sie keinen Rotlichtverstoß mehr begehen, sondern hätte sich allenfalls eines Verstoßes gegen § 1 StVO (allgemeine Rücksichtnahme) schuldig gemacht.


Bedeutung für Autofahrer

Die Entscheidung zeigt:

  • Rotlichtverstöße sind keine bloßen Formalien. Die genaue Position des Fahrzeugs ist entscheidend.

  • Schon wenige Meter oder Zentimeter können bestimmen, ob ein Fahrverbot verhängt wird oder nicht.

  • Wer hinter der Ampel wartet, darf nicht automatisch davon ausgehen, dass er „sicher“ ist. Sobald die Ampel umschaltet, gilt das Rotlicht – auch wenn man es selbst nicht mehr sieht.


Verteidigungsmöglichkeiten im Bußgeldverfahren

Für Betroffene eröffnet sich ein Verteidigungsspielraum:

  • Fehlende Feststellungen: Wenn das Gericht nicht exakt klärt, wo sich das Fahrzeug beim Umschalten befand, kann das Urteil angreifbar sein.

  • Örtliche Gegebenheiten: Skizzen, Fotos oder Videos können helfen, die Position des Fahrzeugs zu belegen.

  • Zeugen und Unfallspuren: Auch Beobachtungen Dritter oder polizeiliche Unfallaufnahmen können entscheidend sein.

  • Alternativbewertung: Befand sich der Betroffene bereits im Kreuzungsbereich, kommt statt eines Rotlichtverstoßes nur ein anderer, oft milder zu ahndender Verstoß in Betracht.

Gerade in Verfahren mit Fahrverbot lohnt es sich, die Rechtslage genau prüfen zu lassen.


Fazit

Ein Rotlichtverstoß liegt nicht nur dann vor, wenn jemand bei Rot über die Haltelinie fährt. Auch das Überfahren bei Grün und das spätere Einfahren bei Rot kann zum Verstoß führen – sofern sich das Fahrzeug noch vor dem Kreuzungsbereich befand.

Für Autofahrer bedeutet das: Anhalten hinter der Ampel ist riskant. Wer erst später in die Kreuzung einfährt, kann hart bestraft werden. Gleichzeitig müssen die Gerichte sehr genau prüfen, wo das Fahrzeug tatsächlich stand. Diese Lücken bieten Chancen für eine erfolgreiche Verteidigung.


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Unsere Kanzlei ist auf Verkehrsrecht spezialisiert. Wir prüfen, ob die Vorwürfe stichhaltig sind, ob das Fahrverbot rechtmäßig ist und welche Verteidigungsstrategien für Ihren Fall in Betracht kommen.

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Fahrerflucht – Unfall mit einem Einkaufswagen

Fahrerflucht

Fahrerflucht auf dem Supermarktparkplatz – wann das Strafrecht eingreift

OLG Naumburg, Beschluss vom 6. Mai 2024 – 1 ORs 38/24
Thema: Unfall im Straßenverkehr (§ 142 StGB) bei wegrollendem Einkaufswagen und Fahrerflucht 

Ein alltäglicher Vorfall – mit strafrechtlicher Dimension?

Fahrerflucht – Wer mit einem Einkaufswagen auf einem Supermarktparkplatz unterwegs ist, rechnet in der Regel nicht damit, ins Visier der Strafjustiz zu geraten. Doch genau das kann passieren, wie ein aktueller Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg zeigt. Danach kann auch ein Schaden, der durch einen unbeaufsichtigten Einkaufswagen verursacht wird, als „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinne des § 142 Strafgesetzbuch (StGB) gelten – mit der Folge, dass sich der Verursacher durch einfaches Weitergehen strafbar machen kann.

Der Fall zeigt exemplarisch, wie weitreichend und unbestimmt der Unfallbegriff im Strafrecht verstanden werden kann – und wie schnell ein sorgloses Verhalten auf dem Parkplatz zur Anzeige wegen Fahrerflucht führen kann.

Der Sachverhalt: Einkaufswagen rollt gegen geparktes Auto

Dem Verfahren lag folgender Geschehensablauf zugrunde: Der Angeklagte stellte seinen Pkw auf dem Kundenparkplatz eines Supermarkts ab, holte einen Einkaufswagen und begab sich zurück zu seinem Auto. Als sich sein Hund plötzlich losriss, ließ er den Einkaufswagen los, um das Tier wieder anzuleinen. Der Wagen geriet daraufhin ins Rollen und stieß gegen ein anderes geparktes Fahrzeug. Es entstand eine sichtbare Delle sowie eine Lackschramme.

Der Angeklagte nahm den Vorfall zwar wahr, ging aber dennoch in den Supermarkt und verließ den Ort, ohne sich um die Regulierung des Schadens zu kümmern oder dem Geschädigten Informationen zu hinterlassen. Er wurde daraufhin vom Amtsgericht wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Berufung blieb erfolglos. In der Revision hob das OLG Naumburg das Urteil lediglich hinsichtlich der Strafzumessung auf – bestätigte jedoch im Übrigen den Schuldspruch.

Die zentrale Rechtsfrage: Ist ein wegrollender Einkaufswagen ein Fall für § 142 StGB?

§ 142 StGB stellt das „sich Entfernen vom Unfallort“ unter Strafe – allerdings nur, wenn es sich um einen Unfall im Straßenverkehr handelt. Was unter einem solchen Unfall zu verstehen ist, wird durch den Gesetzestext nicht näher definiert. Nach gefestigter Rechtsprechung ist ein „Unfall im Straßenverkehr“ gegeben, wenn sich ein plötzliches Ereignis mit einem nicht gänzlich belanglosen Sach- oder Personenschaden ereignet, und dieses Geschehen in einem straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang steht.

Daraus folgt: Nicht jeder Schadensfall im öffentlichen Raum ist automatisch ein Unfall im Sinne des § 142 StGB. Vielmehr verlangt die Norm einen Bezug zu den typischen Risiken des Straßenverkehrs – wie sie etwa beim Fahren, Parken oder Ein- und Aussteigen aus Fahrzeugen entstehen.

Im Fall des OLG Naumburg verneinte die Verteidigung – gestützt auf Entscheidungen des Amtsgerichts Dortmund und des Landgerichts Düsseldorf – einen solchen Zusammenhang. Die Argumentation: Ein Einkaufswagen sei kein Fahrzeug, die Bewegung sei nicht willensgesteuert gewesen, und es fehle der Bezug zur Fortbewegung im Straßenverkehr. Es handle sich daher nicht um einen Verkehrsunfall im Sinne der Strafnorm.

Das OLG Naumburg stellte sich jedoch auf den Standpunkt, dass auch Unfälle im sogenannten ruhenden Verkehr – also etwa beim Parken, Aussteigen oder Be- und Entladen – unter § 142 StGB fallen können. Nach Auffassung des Senats habe sich hier eine typische Gefahr des öffentlichen Verkehrsraums verwirklicht. Die Nutzung eines Einkaufswagens auf einem Kundenparkplatz sei ein normaler Vorgang im Straßenverkehr. Es genüge daher, dass sich das Geschehen auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz ereignet habe und der Angeklagte dort als Verkehrsteilnehmer zu Fuß unterwegs war.

Kritik an der Entscheidung: Weite Auslegung ohne klare Grenze

Die Entscheidung des OLG Naumburg ist nicht unumstritten. In Literatur und Teilen der Rechtsprechung wird seit Jahren eine enger gefasste Auslegung des Unfallbegriffs gefordert. Teilweise wird etwa kritisiert, dass § 142 StGB ursprünglich zum Schutz der zivilrechtlichen Feststellungsinteressen nach Unfällen mit Fahrzeugen im Straßenverkehr geschaffen wurde – nicht aber zur Sanktionierung alltäglicher Missgeschicke mit Einkaufswagen, Mülltonnen oder anderen Gegenständen, die lediglich zufällig im öffentlichen Verkehrsraum eingesetzt werden.

Der § 142 StGB ist als abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt ohnehin umstritten, da die Strafbarkeit nicht an einem konkreten Schaden oder Verschulden, sondern allein an der unterlassenen Mitwirkung bei der Feststellung der Personalien anknüpft. Vor diesem Hintergrund sollte die Norm nicht überdehnt werden.

Zudem ist fraglich, ob sich bei einem entgleiteten Einkaufswagen tatsächlich ein straßenverkehrsspezifisches Risiko verwirklicht. Vieles spricht dafür, dass es sich hierbei eher um ein allgemeines Alltagsrisiko handelt, das außerhalb des Schutzbereichs des § 142 StGB liegt. Zahlreiche Kommentatoren fordern deshalb, den Unfallbegriff enger auf Vorgänge zu beschränken, die mit der Fortbewegung von Fahrzeugen verbunden sind.

Fazit: Vorsicht auch im ruhenden Verkehr – Strafbarkeit nicht ausgeschlossen

Ob man die Entscheidung des OLG Naumburg für überzeugend hält oder nicht – sie zeigt in aller Deutlichkeit, wie schnell man sich auch im Bereich des ruhenden Verkehrs strafbar machen kann. Wer etwa nach einem Parkrempler, einem Einkaufswagen-Unfall oder einem ähnlichen Geschehen den Ort verlässt, ohne sich um die Feststellung seiner Person zu bemühen, riskiert ein Verfahren wegen Fahrerflucht.

Für Betroffene bedeutet das:

  • Auch geringfügige Vorfälle auf einem Supermarktparkplatz können strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

  • Wer einen Schaden bemerkt – egal wodurch verursacht – sollte in jedem Fall entweder den Geschädigten aufsuchen oder die Polizei verständigen.

  • Ein einfaches Weitergehen kann bereits den Tatbestand des § 142 StGB erfüllen.

Verteidigung bei Fahrerflucht: Was wir für Sie tun können

Als erfahrene Kanzlei im Verkehrsstrafrecht vertreten wir regelmäßig Mandanten, denen eine unerlaubte Entfernung vom Unfallort vorgeworfen wird – auch in Fällen mit fraglichem Unfallbegriff. Wir prüfen für Sie, ob die Voraussetzungen des § 142 StGB tatsächlich vorliegen und ob das Ermittlungsverfahren eingestellt werden kann. Dabei greifen wir auf aktuelle Rechtsprechung und fundierte Argumentationsmuster zurück.

Sie haben eine Vorladung oder einen Strafbefehl erhalten? Nehmen Sie frühzeitig Kontakt mit uns auf – bevor Sie sich selbst äußern. Wir beraten Sie individuell und vertraulich.


Kanzlei für Verkehrsrecht und Strafverteidigung
Verteidigung mit Augenmaß. Beratung mit Weitblick.


Ihr Ansprechpartner für Verkehrsrecht in Berlin – Rechtsanwalt Thomas Brunow

Thomas BrunowRechtsanwalt Thomas Brunow ist Ihr erfahrener Rechtsanwalt für Verkehrsrecht in Berlin Mitte. Als Spezialist auf diesem Gebiet vertritt er Mandanten ausschließlich in verkehrsrechtlichen Angelegenheiten – von der Schadenregulierung über Bußgeldverfahren bis hin zur Verteidigung in Verkehrsstrafsachen.

Dank seiner langjährigen Erfahrung und seiner Tätigkeit als Vertrauensanwalt des Volkswagen- und Audi-Händlerverbandes genießt er großes Vertrauen in der Automobilbranche. Zudem ist er aktives Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht.

Leistungen von Rechtsanwalt Thomas Brunow:

Schadenregulierung nach Verkehrsunfällen – Durchsetzung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen.
Verteidigung in Verkehrsstrafsachen – Spezialisierung auf Trunkenheitsfahrten, Fahrerflucht, Nötigung und Körperverletzung im Straßenverkehr.
Verteidigung in Bußgeldverfahren – Umfassende Expertise bei Geschwindigkeitsverstößen, Rotlichtvergehen und Fahrtenbuchauflagen.

Mit Fachwissen, Erfahrung und Durchsetzungsstärke sorgt Rechtsanwalt Thomas Brunow für eine effektive Vertretung im Verkehrsrecht.

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Unfallflucht – bedeutender Schaden – Entzug der Fahrerlaubnis

Unfallflucht Verkehrsunfall vorschaden linksabbiegen

Wer nach einem Unfall weiterfährt, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, begeht eine Unfallflucht (§ 142 StGB). Besonders schwerwiegend ist dieser Vorwurf dann, wenn nicht nur ein kleiner Blechschaden, sondern ein sogenannter „bedeutender Schaden“ entstanden ist.

Warum? Weil in diesen Fällen nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB die Entziehung der Fahrerlaubnis im Regelfall angeordnet wird. Das bedeutet: Der Führerschein ist weg, eine Sperrfrist wird festgesetzt, und die Wiedererteilung dauert Monate.

Doch wann genau liegt ein „bedeutender Schaden“ vor? Die Rechtsprechung ist in Bewegung – und die Schwelle steigt.


Die gesetzliche Grundlage

  • § 69 Abs. 1 StGB: Entziehung, wenn der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

  • § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB: Regelfall bei Unfallflucht (§ 142 StGB), wenn der Täter weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall

    • ein Mensch getötet,

    • erheblich verletzt oder

    • an fremden Sachen ein bedeutender Schaden entstanden ist.

Die Höhe dieses „bedeutenden Schadens“ ist nicht im Gesetz festgelegt. Sie wird durch die Rechtsprechung bestimmt – und passt sich den wirtschaftlichen Entwicklungen an.


Entwicklung der Wertgrenze in der Rechtsprechung

1. Frühe OLG-Rechtsprechung: 1.300 €

Seit den frühen 2000er Jahren war es herrschende Meinung, dass ein bedeutender Schaden bereits bei 1.300 € vorliegt. Hintergrund: Reparaturkosten auf diesem Niveau galten damals als klar spürbare Belastung.

2. Anhebung auf 1.500–1.600 €

Mit steigenden Preisen für Ersatzteile und Reparaturen hoben viele Gerichte die Grenze später auf 1.500–1.600 € an. Begründung: Inflation und Kostenentwicklung machten die frühere Grenze überholt.

3. BayObLG 2019: 1.903,89 € netto reichen

BayObLG, Beschluss vom 17.12.2019 – 204 StRR 1940/19 (DAR 2020, 268)
In diesem Fall ging es um einen Parkunfall, bei dem Reparaturkosten von 1.903,89 € netto anfielen. Das BayObLG stellte klar:

  • Ein solcher Betrag stellt jedenfalls einen bedeutenden Schaden dar.

  • Ein Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB lag vor → die Fahrerlaubnis wurde entzogen.

Das Gericht verzichtete bewusst darauf, eine feste neue Grenze zu ziehen, stellte aber klar, dass die 1.900 € im Ergebnis ausreichen.

4. LG Nürnberg-Fürth und LG Landshut: 2.500 €

Bereits seit Jahren sprechen sich LG Nürnberg-Fürth und LG Landshut für eine deutliche Anhebung auf 2.500 € netto aus. Argumente:

  • Reparaturkosten sind massiv gestiegen, insbesondere bei modernen Fahrzeugen mit komplexer Elektronik und verdeckten Schäden.

  • Es bedarf einer klaren und höheren Linie, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren.

5. LG Zwickau 2025: Bestätigung von 2.500 € netto

LG Zwickau, Urteil vom 24.04.2025 – 3 NBs 420 Js 8745/24
Die Strafkammer hat die Wertgrenze bei 2.500 € netto angesetzt und sich damit ausdrücklich der Linie des LG Nürnberg-Fürth angeschlossen.

Im entschiedenen Fall lag der Schaden darunter:

  • Entziehung der Fahrerlaubnis schied aus.

  • Stattdessen: Geldstrafe (50 Tagessätze à 40 €) und ein Fahrverbot von zwei Monaten (§ 44 StGB), das durch die Dauer des vorläufigen Entzugs bereits erledigt war.

Begründung:

  • Inflation,

  • allgemeine Einkommensentwicklung,

  • steigende Reparaturkosten.

Die Kammer betonte, dass die früheren Schwellen von 1.500–1.600 € nicht mehr zeitgemäß seien.


Fazit der Rechtsprechung: Uneinheitlich, aber mit steigender Tendenz

  • Früher: 1.300 €

  • später: 1.500–1.600 €

  • BayObLG: 1.900 € reichen

  • LG Nürnberg-Fürth, LG Landshut, LG Zwickau: 2.500 € netto

Die Linie ist eindeutig: Die Grenze steigt. Doch solange der Bundesgerichtshof nicht entscheidet, bleibt es bei einer zersplitterten Rechtsprechung. Für Betroffene hängt viel davon ab, vor welchem Gericht sie landen.


Praxisfolgen für Betroffene

  1. Grauzone zwischen 1.800 und 2.500 €: Hier bestehen realistische Chancen, einen Fahrerlaubnisentzug zu vermeiden – sei es durch Infragestellung der Reparaturkosten oder durch Betonung der subjektiven Erkennbarkeit.

  2. Subjektiver Maßstab entscheidend: § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB verlangt, dass der Täter weiß oder wissen kann, dass ein bedeutender Schaden entstanden ist. Nicht immer lässt sich das am Unfallort erkennen.

  3. Alternative Fahrverbot: Fällt der Regelfall weg, kann das Gericht statt der Entziehung ein Fahrverbot nach § 44 StGB verhängen. Das ist in aller Regel die mildere Sanktion.

  4. Regionale Unterschiede: Während in Bayern schon bei unter 2.000 € der Führerschein gefährdet ist, wird in Sachsen oder Franken erst ab 2.500 € von einem Regelfall ausgegangen.


Zusammenfassung

Die Frage nach dem „bedeutenden Schaden“ ist weit mehr als eine juristische Feinheit: Sie entscheidet über den Führerscheinverlust. Die Entwicklung zeigt klar, dass die Grenze mit der wirtschaftlichen Realität Schritt hält – sie steigt. Doch einheitlich ist die Linie nicht, was Verteidigungsspielräume eröffnet.

Wer mit einem Schaden in der kritischen Spanne zwischen 1.800 und 2.500 € konfrontiert ist, sollte die Höhe der Reparaturkosten, die Berechnungsweise (netto/brutto) und die subjektive Erkennbarkeit durch den Fahrer genau prüfen lassen.


Beratung im Verkehrsrecht

Unsere Kanzlei berät Sie umfassend in Fällen von Unfallflucht, Fahrerlaubnisentzug und Fahrverbot. Gerade in Grenzfällen kann eine sorgfältige Verteidigung den Unterschied machen – zwischen einem zeitweisen Fahrverbot und dem vollständigen Verlust der Fahrerlaubnis.

Fahrverbot bei Fahrt mit dem E-Scooter

Alkohol Fahrverbot

Vom Regelfahrverbot bei Alkoholfahrten mit E-Scootern – BayObLG verschärft Anforderungen

BayObLG, Beschluss vom 30.06.2025 – 201 ObOWi 405/25

Der Fall

Ein Betroffener war mit einem E-Scooter unterwegs, als er von der Polizei kontrolliert wurde. Die Atemalkoholmessung ergab 0,40 mg/l, also deutlich über der Grenze des § 24a Abs. 1 StVG. Die Bußgeldstelle verhängte eine Geldbuße von 500 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat.

Im gerichtlichen Verfahren beschränkte der Betroffene seinen Einspruch auf die Rechtsfolgen. Das Amtsgericht verdoppelte daraufhin die Geldbuße auf 1.000 €, sah aber vom Fahrverbot ab – mit der Begründung, die Fahrt sei nur mit einem E-Scooter erfolgt und der Betroffene sei beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen.

Die Staatsanwaltschaft legte Rechtsbeschwerde ein – mit Erfolg.

Die Entscheidung des BayObLG

Das BayObLG hob das amtsgerichtliche Urteil auf. Die Begründung:

  • E-Scooter sind keine „milderen Fahrzeuge“. Auch wenn ihre Höchstgeschwindigkeit auf 20 km/h begrenzt ist, bergen sie aufgrund ihrer Masse und Instabilität ein nicht unerhebliches Gefährdungspotenzial – für den Fahrer wie auch für andere Verkehrsteilnehmer. Das bloße Argument, man sei „nur“ mit einem E-Scooter unterwegs gewesen, trägt ein Absehen vom Fahrverbot daher nicht.

  • Fahrverbote sind Regelfolge. Ein Absehen kommt nur bei besonderen Härten oder außergewöhnlichen Umständen in Betracht. Solche lagen hier nicht vor.

  • Existenzgefährdung muss substantiiert dargelegt werden. Der Hinweis des Betroffenen, er könne durch das Fahrverbot seinen Arbeitsplatz verlieren, reichte nicht. Das Gericht betont ausdrücklich, dass solche Behauptungen im Ordnungswidrigkeitenrecht vom Tatrichter kritisch zu prüfen und gegebenenfalls zu hinterfragen sind. Andernfalls wäre der Missbrauch durch pauschale Behauptungen Tür und Tor geöffnet.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung zeigt deutlich:

  • E-Scooter sind keine „Schonräume“ im Straßenverkehr. Wer alkoholisiert fährt, muss mit denselben Rechtsfolgen rechnen wie Autofahrer.

  • Das Regelfahrverbot gilt – unabhängig vom Fahrzeugtyp.

  • Härtefallbehauptungen (z. B. drohender Arbeitsplatzverlust) müssen detailliert belegt werden und dürfen von Gerichten nicht ungeprüft übernommen werden.

Gerade weil Alkoholverstöße mit E-Scootern in der Praxis häufig verharmlost werden, ist der Beschluss des BayObLG eine klare Mahnung: Das Fahrverbot bleibt die Regel, Ausnahmen sind die absolute Ausnahme.

Unsere Leistungen: Fahrverbot prüfen und abwehren

Als erfahrene Fachkanzlei im Verkehrsrecht prüfen wir für Sie individuell:

  • Ist das Verbot wirklich erforderlich oder liegt ein Härtefall vor?

  • Welche Alternativen bestehen ?

  • Sind Verfahrensfehler bei Bußgeldbescheid oder Urteilsfindung erkennbar?

  • Wie kann eine Rechtsbeschwerde oder ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erfolgreich durchgeführt werden?

Ob Fahrverbot wegen zu hoher Geschwindigkeit, Rotlichtverstoß, Abstandsunterschreitung oder Alkohol am Steuer – wir setzen uns für Ihre Rechte ein.


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Auffahrunfall: Wann „Wer auffährt, hat Schuld“ nicht gilt

Auffahrunfall Anscheinsbeweis

OLG München: Grenzen des Anscheinsbeweises beim Auffahrunfall – Wann „Wer auffährt, hat Schuld“ nicht gilt

Der Auffahrunfall  gehört zu den Klassikern im Verkehrsrecht. Fast jeder kennt den Satz: „Wer auffährt, hat Schuld.“
Doch diese Faustregel hat Grenzen. Das Oberlandesgericht München (Urteil vom 09.02.2022 – 10 U 1962/21, NJW-RR 2022, 893) zeigt, dass der Anscheinsbeweis nicht automatisch greift – vor allem dann nicht, wenn vor dem Unfall ein Spurwechsel feststeht, aber die genaue Ursache unklar bleibt.


Was bedeutet Anscheinsbeweis im Verkehrsrecht?

Der Anscheinsbeweis erlaubt es dem Gericht, aus einem typischen Unfallablauf auf ein typisches Fehlverhalten zu schließen – ohne dass jede Einzelheit bewiesen werden muss.
Beim Auffahrunfall lautet der Erfahrungssatz oft:

  • Der Auffahrende hat den Sicherheitsabstand (§ 4 Abs. 1 StVO) nicht eingehalten,

  • war unaufmerksam (§ 1 StVO) oder

  • fuhr zu schnell (§ 3 Abs. 1 StVO).

Aber: Dieser Schluss ist nur erlaubt, wenn das gesamte Unfallgeschehen typisch ist. Kommen besondere Umstände ins Spiel, kann der Anscheinsbeweis entfallen.


Der entscheidende Satz aus dem OLG-Urteil

Das OLG München formuliert in Rn. 18 unmissverständlich:

„Demnach wird einem Auffahrunfall die Typizität regelmäßig zu versagen sein, wenn zwar feststeht, dass vor dem Auffahren ein Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs stattgefunden hat, der Sachverhalt aber im Übrigen nicht aufklärbar ist und sowohl die Möglichkeit besteht, dass der Führer des vorausfahrenden Fahrzeugs unter Verstoß gegen § 7 V StVO den Fahrstreifenwechsel durchgeführt hat, als auch die Möglichkeit, dass der Auffahrunfall auf eine verspätete Reaktion des auffahrenden Fahrers zurückzuführen ist.“

Mit anderen Worten:
Selbst wenn der Spurwechsel bewiesen ist, führt das nicht automatisch zu einem Schuldvorwurf gegen den Auffahrenden, wenn offen bleibt, ob der Spurwechsel verkehrswidrig war oder der Auffahrende einfach zu spät reagierte.


Der Fall: Auffahrunfall Motorradfahrer gegen Pkw auf der A9

Ein Motorradfahrer fuhr auf der linken Spur der A9 auf das Heck eines Pkw auf. Strittig war, ob der Pkw kurz vor dem Unfall von der mittleren auf die linke Spur gewechselt war.
Das Landgericht hatte zunächst eine 50:50-Haftungsverteilung angenommen.
Das OLG München sah das anders: Der Pkw-Fahrer konnte glaubhaft darlegen, dass er bereits längere Zeit spurgleich vorausfuhr. Der Motorradfahrer konnte den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttern – weder durch Zeugen noch durch andere Beweise.
Ergebnis: Alleinhaftung des Motorradfahrers.


Bedeutung für die Praxis

Das Urteil macht deutlich:

  • Für Auffahrende: Wer den Anscheinsbeweis kippen will, braucht klare und belastbare Beweise – bloße Vermutungen reichen nicht.

  • Für Vorausfahrende: Gelingt der Nachweis, dass Sie bereits länger spurgleich fuhren, kann Ihre eigene Haftung vollständig entfallen.

  • Für beide Seiten: Widersprüchliche oder unklare Zeugenaussagen helfen nicht – entscheidend ist eine stimmige, belegbare Darstellung des Unfallhergangs.


Praxistipps vom Verkehrsrechtsexperten

📌 Dashcams einsetzen – sie liefern im Zweifel den entscheidenden Beweis.
📌 Zeugen frühzeitig sichern – Gedächtnislücken entstehen schneller als man denkt.
📌 Fotos, Skizzen und Unfallberichte sorgfältig sammeln.

Gerade bei Autobahnunfällen mit Spurwechseln entscheiden oft Sekunden – und nur eine saubere Beweislage kann den Ausschlag geben.


Fazit: Der Satz „Wer auffährt, hat immer Schuld“ stimmt so nicht. Das OLG München zeigt: Wenn feststeht, dass vor dem Unfall ein Spurwechsel stattgefunden hat, aber unklar bleibt, ob dieser oder eine verspätete Reaktion die Ursache war, darf der Anscheinsbeweis nicht angewendet werden. Wer seine Position mit klaren Beweismitteln stützt, hat vor Gericht die besseren Chancen.

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Geschwindigkeitsbegrenzung mit Zusatzzeichen „Luftreinhaltung“ gilt auch für E-Autos – OLG Hamm 2025

in berlin geblitzt

Geschwindigkeitsbeschränkung mit Zusatzzeichen „Luftreinhaltung“ gilt auch für Elektroautos – OLG Hamm bestätigt Bußgeld

Kanzlei für Verkehrsrecht – Aktuelle Entscheidung aus dem Bußgeldrecht

In einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 10.06.2025 – 3 ORbs 57/25) hat das Oberlandesgericht Hammklargestellt: Auch Elektrofahrzeuge müssen sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten, die mit dem Zusatzzeichen „Luftreinhaltung“ versehen sind. Ein Irrtum über die Reichweite dieses Zusatzzeichens kann nicht dazu führen, dass ein Bußgeld aufgehoben wird – selbst dann nicht, wenn der Fahrer der Meinung ist, die Regelung diene nur der Reduzierung von Emissionen bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.


Hintergrund: Zusatzzeichen zur Luftreinhaltung

Das Zusatzzeichen „Luftreinhaltung“ kommt insbesondere in Umweltzonen oder an Strecken mit erhöhter Luftbelastung zum Einsatz. In Nordrhein-Westfalen ergibt sich seine Anordnung aus einem Erlass des Verkehrsministeriums vom 30.07.2020, der auf § 46 Abs. 2 StVO i.V.m. der Verwaltungsvorschrift zur StVO gestützt ist. Danach darf dieses Zusatzschild nur dann angebracht werden, wenn ein wissenschaftlicher Nachweis über die Wirksamkeit der Maßnahme zur Luftreinhaltung erbracht wurde.


Der Fall: Elektrofahrzeug, aber trotzdem geblitzt

Im zugrunde liegenden Fall war der Betroffene mit einem Elektrofahrzeug unterwegs und hatte die durch Zeichen 274 (Geschwindigkeitsbeschränkung) in Verbindung mit dem Zusatzzeichen „Luftreinhaltung“ angeordnete Höchstgeschwindigkeit überschritten. Er argumentierte, die Begrenzung diene der Luftreinhaltung und könne auf emissionsfreie Fahrzeuge keine Anwendung finden.

Diese Auffassung fand weder beim Amtsgericht Dortmund noch beim OLG Hamm Gehör. Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung zugelassen.


OLG Hamm: Keine Sonderbehandlung für Elektrofahrzeuge

Das OLG Hamm stellte klar:

„Die Geschwindigkeitsbeschränkung gilt für alle Fahrzeuge, unabhängig von deren Antrieb.“

Die vom Betroffenen vertretene Rechtsansicht wird weder von der Rechtsprechung noch von der Literatur getragen. Vielmehr hat bereits die obergerichtliche Rechtsprechung – etwa das OLG Stuttgart, das Brandenburgische OLG und das OLG Oldenburg – klargestellt, dass Zusatzzeichen wie „Luftreinhaltung“ keine Differenzierung nach dem Antriebssystem vorsehen. Auch maßgebliche Fachkommentare – insbesondere König in Hentschel/König/Dauer und Krenberger in jurisPR-StrafR – schließen eine solche Differenzierung aus.


Rechtsbeschwerde unzulässig: Kein klärungsbedürftiger Einzelfall

Die Rechtsbeschwerde wurde durch das OLG Hamm nicht zur Fortbildung des Rechts zugelassen, da es sich nicht um eine bislang ungeklärte Rechtsfrage handelt. Die pauschale Behauptung eines Rechtsanwendungsfehlers (hier: angeblich fehlerhafte Feststellungen zur Vorsätzlichkeit) genügt ebenfalls nicht, um eine Zulassung zu rechtfertigen.


Fazit unserer Kanzlei: Vorsicht bei Zusatzzeichen – auch Elektrofahrzeuge sind nicht ausgenommen

Für Betroffene im Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsverstößen bleibt festzuhalten: Eine vermeintliche Unklarheit über die Bedeutung eines Zusatzzeichens wie „Luftreinhaltung“ schützt nicht vor Sanktionen. Wer hier mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs ist – auch im Elektroauto – riskiert Bußgeld, Punkte und im Einzelfall ein Fahrverbot.

Unsere Kanzlei für Verkehrsrecht unterstützt Sie bundesweit bei der Prüfung von Bußgeldbescheiden, insbesondere wenn es um verkehrsrechtlich relevante Zusatzzeichen, Messfehler oder Zweifel an der Beweiswürdigung geht.


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Kanzlei für Verkehrsrecht – Ihre Spezialisten bei Geschwindigkeitsverstößen, Fahrverbot & Bußgeld

Fahrverbot umgehen bei medizinischer Notlage oder Härtefall

Fahrverbot

OLG Oldenburg entscheidet: Fahrverbot kann entfallen – bei medizinischem Notfall, geringem Einkommen und hohem Alter

Ein aktueller Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg zeigt, dass ein Fahrverbot nicht in jedem Fall verhängt werden muss. Wer wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung oder eines anderen Verkehrsverstoßes verurteilt wurde, kann in besonderen Ausnahmefällen vom Fahrverbot befreit werden – etwa, wenn erhebliche persönliche oder gesundheitliche Härten vorliegen.

Unsere Kanzlei ist auf die Verteidigung im Verkehrsrecht spezialisiert und zeigt Ihnen anhand dieses Falls, wann und wie sich ein Fahrverbot vermeiden lässt – auch im Rahmen eines Bußgeldverfahrens.


🔍 Der Fall: Geschwindigkeitsverstoß mit Fahrverbot – aber besondere Umstände

Ein 86-jähriger Autofahrer wurde vom Amtsgericht Aurich wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 260 € und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Doch die Umstände waren besonders:

  • Der Mann war nachts gegen 23:50 Uhr auf dem Weg ins Krankenhaus, offenbar unter Schmerzen.

  • Er ist gesundheitlich eingeschränkt und kann nicht gut laufen.

  • Er muss regelmäßig ärztlich behandelt werden.

  • Seine monatliche Rente beträgt nur 312 € – Taxifahrten wären für ihn nicht bezahlbar.

  • Einträge im Fahreignungsregister hatte er nicht.

Der Fall landete schließlich beim OLG Oldenburg, das dasVerbot aufhob (Beschluss vom 15.08.2024 – 2 ORbs 114/24).


⚖️ Das sagt das Gericht: Fahrverbot kann bei unzumutbarer Härte entfallen

Das OLG Oldenburg hat das Fahrverbot mit Verweis auf § 79 Abs. 6 OWiG aufgehoben und entschieden, dass eine unzumutbare persönliche Härte vorliegt. Besonders relevant war:

  • Kein Vorwurf vorsätzlichen Verhaltens

  • Medizinische Notlage zur Tatzeit

  • Extrem geringe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit

  • Fehlende Alternativen zum eigenen Pkw für Arztbesuche

Außerdem betonte das Gericht, dass das Einkommen der Ehefrau für die Sanktionszumessung irrelevant sei – es komme allein auf die wirtschaftliche Lage des Betroffenen an.


📌 Wichtig für Betroffene: Auch bei Fahrverboten gibt es Ausnahmen

Viele Mandanten fragen sich, ob ein Fahrverbot „unausweichlich“ ist. Die Antwort lautet: Nicht immer.

Das Gesetz bietet Spielraum – insbesondere bei:

  • Altersbedingten Einschränkungen

  • Gesundheitlichen Problemen

  • Unzumutbaren sozialen Folgen (z. B. Verlust der ärztlichen Versorgung)

  • Existenzgefährdung bei beruflicher Abhängigkeit vom Fahrzeug

Unsere Kanzlei prüft für Sie, ob ein Härtefall geltend gemacht werden kann – mit fundierter Argumentation und langjähriger Erfahrung im Verkehrsrecht.



Unsere Leistungen: Fahrverbot prüfen und abwehren

Als erfahrene Fachkanzlei im Verkehrsrecht prüfen wir für Sie individuell:

  • Ist das Verbot wirklich erforderlich oder liegt ein Härtefall vor?

  • Welche Alternativen bestehen ?

  • Sind Verfahrensfehler bei Bußgeldbescheid oder Urteilsfindung erkennbar?

  • Wie kann eine Rechtsbeschwerde oder ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erfolgreich durchgeführt werden?

Ob Fahrverbot wegen zu hoher Geschwindigkeit, Rotlichtverstoß, Abstandsunterschreitung oder Alkohol am Steuer – wir setzen uns für Ihre Rechte ein.


📞 Jetzt beraten lassen – Sanktionen vermeiden!

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Rechtsgrundlage:
OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.08.2024 – 2 ORbs 114/24
Fundstellen u.a. in: DAR 2024, 690 | NZV 2025, 90 | SVR 2025, 196

Anfahren aus zweiter Reihe: Wer haftet beim Unfall auf der Busspur?

Mithaftung

Busspur: Das Halten in zweiter Reihe ist im urbanen Straßenverkehr – insbesondere in Großstädten wie Berlin – ein alltägliches, aber oft unterschätztes Verkehrsdelikt. Es gefährdet nicht nur die Verkehrssicherheit, sondern ist auch in vielen Fällen schlicht rechtswidrig, insbesondere wenn dies auf einem Bussonderfahrstreifen erfolgt. Kommt es beim Anfahren aus dieser Position zu einem Unfall, stellt sich regelmäßig die Frage: Wer haftet? Welche Sorgfaltspflichten gelten?

Mit Urteil vom 28. April 2025 (22 U 50/22) hat das Kammergericht Berlin hierzu eine für die Praxis wegweisende Entscheidung getroffen: Es bejaht eine volle Haftung des in zweiter Reihe stehenden und plötzlich anfahrenden Fahrers – und verneint ein Mitverschulden des querenden, fließenden Verkehrs.


Der Fall: Verkehrsunfall auf dem Kurfürstendamm

Im Zentrum des Verfahrens stand ein Verkehrsunfall auf dem Kurfürstendamm, einem der belebtesten Straßenabschnitte Berlins. Der Beklagte hatte dort mit seinem Fahrzeug in zweiter Reihe auf einem Bussonderfahrstreifen gehalten – ohne verkehrsbedingten Grund. Aus dem Fahrzeug wurde ein Schlüssel übergeben. Anschließend fuhr der Beklagte wieder an, wobei er mit dem Pkw des Klägers kollidierte, der ordnungsgemäß aus dem linken Fahrstreifen über die Busspur auf eine Rechtsabbiegerspur querte.

Während das Landgericht noch von einer Mithaftung des Klägers ausging, hob das Kammergericht dieses Urteil aufund entschied klar zugunsten des Klägers – mit umfangreicher Begründung.


Rechtliche Würdigung und Kernaussagen des Gerichts

1. Halten auf Bussonderfahrstreifen: Absolutes Verbot

Das Kammergericht stellt unmissverständlich fest:

„Das Halten auf einem Bussonderfahrstreifen ist grundsätzlich verboten.“
Gemäß Zeichen 245 der Straßenverkehrs-Ordnung dürfen Bussonderfahrstreifen nicht durch den Individualverkehr genutzt werden. Auch ein kurzes Halten – selbst mit eingeschaltetem Warnblinker – ist dort nicht zulässig, sofern es nicht durch berechtigte Ausnahmen gedeckt ist (z. B. Taxen an Haltestellen).

Die Verwaltungsvorschrift zur StVO betont ausdrücklich:

„Die Funktionsfähigkeit der Bussonderfahrstreifen hängt von ihrer völligen Freihaltung vom Individualverkehr ab.“

Das Parken oder Halten in zweiter Reihe auf der Busspur stellt daher einen klaren Verstoß gegen die StVO dar – und führt zu einer erheblichen Ausgangshaftung des Halters.


2. § 10 StVO analog: Gesteigerte Sorgfaltspflichten auch ohne Anfahren vom Fahrbahnrand

Zwar erfasst § 10 Satz 1 StVO dem Wortlaut nach nur das Anfahren vom Fahrbahnrand. Doch das Kammergericht überträgt die dort normierten Sorgfaltspflichten auf das Anfahren aus zweiter Reihe, weil es sich um eine vergleichbare Gefährdungslage handelt – teils mit erhöhter Unübersichtlichkeit für den fließenden Verkehr.

Daraus folgt:

  • Rückschaupflicht vor dem Anfahren

  • Blinkpflicht (mindestens 5 Sekunden vor Anfahren)

  • Beachtung des Vorrangs des fließenden Verkehrs

  • Anscheinsbeweis bei Kollision zulasten des Anfahrenden

„Derjenige, der aus zweiter Reihe anfährt, muss sich so verhalten, als würde er vom Fahrbahnrand aus in den fließenden Verkehr einfädeln.“

Diese Sichtweise findet sich auch in der Kommentarliteratur (z. B. Burmann/Heß/Jahnke/Burmann, § 10 StVO Rn. 12) und wird durch obergerichtliche Rechtsprechung gestützt.


3. Kein Vorrang für verbotswidrig haltende oder fahrende Verkehrsteilnehmer

Ein häufiger Irrtum: Wer auf der Busspur fährt oder hält, meint, ihm stünde Vorrang nach § 9 Abs. 3 Satz 2 StVO zu, wenn andere Fahrzeuge querende Bewegungen vornehmen. Doch das Kammergericht verneint dies konsequent:

„§ 9 Abs. 3 Satz 2 StVO privilegiert ausschließlich berechtigte Verkehrsteilnehmer auf Bussonderfahrstreifen – insbesondere Linienbusse.“

Für unberechtigte Nutzer – wie den Beklagten – besteht kein Vorrang. Der querende Kläger durfte den Bereich an der vorgesehenen Querung mit Zeichen 340 (Leitlinie) benutzen und hatte dem Beklagten weder Vorrang noch Rücksicht zu gewähren.


4. Keine Betriebsgefahr, kein Mitverschulden des Klägers

Der Kläger querte die Busspur an der durch Markierung freigegebenen Stelle. Eine Rücksichtspflicht auf den Beklagten bestand nicht, da dessen Fahrzeug dort rechtswidrig parkte.

Das Kammergericht betont:

  • Keine Pflicht zur Gefahrenabwendung nach § 1 Abs. 2 StVO

  • Keine Anwendung von § 7 Abs. 5 StVO auf den querenden Kläger

  • Grobe Sorgfaltspflichtverletzung allein durch den Beklagten

  • Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt vollständig zurück

Damit verneint das Gericht eine Haftungsverteilung und spricht dem Kläger 100 % der Schadenssumme zu – inkl. Reparaturkosten, Wertminderung und pauschalen Auslagen.


Fazit: Wer rechtswidrig hält, haftet voll – besonders beim Anfahren

Das Urteil des Kammergerichts sendet ein deutliches Signal:
🚫 Das Halten in zweiter Reihe – vor allem auf Bussonderfahrstreifen – ist nicht nur ein Parkverstoß, sondern kann beim Anfahren gravierende Haftungsfolgen haben.

🚘 Wer aus dieser Position losfährt, unterliegt denselben (ggf. strengeren) Sorgfaltspflichten wie beim Anfahren vom Fahrbahnrand.

⚖️ Ein Mitverschulden des fließenden Verkehrs ist bei korrekt ausgeführtem Querungsmanöver regelmäßig ausgeschlossen.

Für Anwälte, Versicherer und Geschädigte bedeutet das: Die Haftungsfrage muss nicht mehr hälftig oder anteilig gelöst werden, nur weil der eine Teilnehmer „querte“. Entscheidend ist die Vorrangbeachtung und das Halteverhalten – insbesondere bei Missachtung klarer Halteverbote auf Busspuren.


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Regress nach Fahrerflucht

Fahrerflucht

Regress nach Fahrerflucht: Wann die Kfz-Haftpflichtversicherung vom Versicherungsnehmer Geld zurückverlangen darf

AG Brandenburg: Urteil vom 28.04.2025 – 31 C 159/24

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Einleitung: Wenn Versicherte selbst zum Gegner werden

Nach einem Unfall erwartet man von der eigenen Versicherung in erster Linie eines: Unterstützung. Doch was passiert, wenn der Versicherungsnehmer selbst gegen vertragliche Pflichten verstößt – etwa durch Fahrerflucht? In solchen Fällen kann die Versicherung nicht nur leistungsfrei sein, sondern sogar erfolgreich Regress gegen den eigenen Versicherten nehmen. Das Amtsgericht Brandenburg hat in einem aktuellen Urteil vom 28.04.2025 (Az. 31 C 159/24) eine solche Regressforderung bestätigt – mit bemerkenswerter Klarheit.


Der Fall: Fahrerflucht trotz Zeugen und Lichtbildern

Am 04.07.2021 fuhr der Beklagte mit einem bei der Klägerin haftpflichtversicherten Mercedes-Benz rückwärts gegen einen geparkten BMW. Der Unfall ereignete sich in Anwesenheit von zwei unmittelbaren Zeugen, die den Fahrer direkt ansprachen und auf den Vorfall hinwiesen. Zudem fertigte der Fahrer selbst Lichtbilder der beschädigten Fahrzeuge an – eine Unfallbeteiligung war unstreitig dokumentiert.

Doch statt sich um die Schadensregulierung zu kümmern, verließ der Fahrer unerlaubt die Unfallstelle, ohne Angaben zu seiner Person zu machen – ein klassischer Fall der sogenannten Unfallflucht (§ 142 StGB).

Später bestritt der Versicherungsnehmer gegenüber der eigenen Kfz-Haftpflichtversicherung jegliche Beteiligung am Unfall. Die Versicherung verweigerte zunächst die Schadensregulierung, wurde jedoch von der Geschädigten erfolgreich in Anspruch genommen. Im Anschluss forderte sie 2.500 € Regress vom eigenen Versicherungsnehmer – gestützt auf die einschlägigen Obliegenheitsverletzungen in den AKB.


Die Entscheidung des Amtsgerichts Brandenburg

Das Gericht gab der klagenden Versicherung recht – in allen Punkten. Besonders bedeutsam sind dabei folgende rechtliche Erwägungen:

1. Fahrerflucht als Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB)

Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort stellt nicht nur eine Straftat dar, sondern ist auch ein sogenanntes Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Das bedeutet: Wer dagegen verstößt, kann auch zivilrechtlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden – unabhängig von vertraglichen Ansprüchen.

Das Amtsgericht betont, dass die Vorschrift des § 142 StGB gerade den Schutz der zivilrechtlichen Interessen der Unfallbeteiligten dient – namentlich der Aufklärung des Sachverhalts und der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen.

2. Strafurteil als Beweis im Zivilprozess (§§ 286, 432 ZPO)

Die Versicherung stützte ihren Regressanspruch maßgeblich auf ein bereits rechtskräftiges Strafurteil wegen Fahrerflucht (AG Potsdam, Urteil vom 19.07.2022). Der Beklagte war demnach nicht nur strafrechtlich verurteilt worden, sondern hatte durch sein Verhalten nachweislich eine schwerwiegende Obliegenheitsverletzung begangen.

Das Gericht stellt klar: Strafurteile dürfen als Urkundenbeweis im Zivilprozess verwendet werden (§§ 286, 432 ZPO). Die Beweisführung der Versicherung war damit in vollem Umfang tragfähig.

3. Obliegenheitsverletzung nach den AKB berechtigt zum Regress

Die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) sehen vor, dass bei groben Obliegenheitsverletzungen – etwa durch Unfallflucht oder falsche Angaben – ein Rückgriff der Versicherung gegen den Versicherungsnehmer bis zu 5.000 € zulässig ist. Im konkreten Fall wurde nur ein Regress von 2.500 € geltend gemacht – also innerhalb der zulässigen Regressgrenze.

Die Obliegenheitsverletzung war evident:

  • Der Fahrer verließ die Unfallstelle unerlaubt.

  • Er verneinte die Unfallbeteiligung gegenüber der Versicherung.

  • Eine Aufklärung des Schadens wurde dadurch erheblich erschwert.

Folge: Die Versicherung durfte leistungsfrei bleiben bzw. die bereits geleistete Schadenssumme anteilig zurückfordern.


Fazit: Strafrechtliche Folgen können auch zivilrechtlich teuer werden

Die Entscheidung des Amtsgerichts Brandenburg ist rechtlich eindeutig und praktisch bedeutsam. Sie verdeutlicht:

  • Fahrerflucht ist kein Kavaliersdelikt, sondern hat sowohl strafrechtliche als auch zivilrechtliche Konsequenzen.

  • Versicherer sind berechtigt, nach einer Obliegenheitsverletzung Rückgriff zu nehmen, wenn sie Schäden nur wegen der gesetzlichen Haftung (§ 115 VVG) regulieren mussten.

  • Ein Strafurteil kann im Zivilprozess verwertet werden, auch ohne erneute Beweisaufnahme zum Sachverhalt.

Versicherungsnehmer sollten sich daher im Fall eines Unfalls stets rechtlich beraten lassen und keinesfalls unüberlegt die Unfallstelle verlassen. Ansonsten drohen nicht nur Geldbuße und Führerscheinentzug, sondern auch erhebliche Rückforderungen durch die eigene Versicherung.


Praxis-Tipp für Versicherungsnehmer:

Wenn Sie in einen Verkehrsunfall verwickelt sind:

  • Bleiben Sie am Unfallort!

  • Warten Sie auf die Polizei oder versuchen Sie, den Geschädigten zu kontaktieren.

  • Informieren Sie Ihre Versicherung wahrheitsgemäß und vollständig.

Schon kleine Versäumnisse oder falsche Angaben können aus Sicht des Versicherungsrechts eine grobe Obliegenheitsverletzung darstellen – mit erheblichen finanziellen Folgen.


Sie haben Fragen zur Kfz-Haftpflichtversicherung oder zum Thema Regress?

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  • Unfallregulierung

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  • Fahrerflucht

  • Rückforderungen durch die Versicherung

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