Wer nach einem Unfall weiterfährt, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, begeht eine Unfallflucht (§ 142 StGB). Besonders schwerwiegend ist dieser Vorwurf dann, wenn nicht nur ein kleiner Blechschaden, sondern ein sogenannter „bedeutender Schaden“ entstanden ist.
Warum? Weil in diesen Fällen nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB die Entziehung der Fahrerlaubnis im Regelfall angeordnet wird. Das bedeutet: Der Führerschein ist weg, eine Sperrfrist wird festgesetzt, und die Wiedererteilung dauert Monate.
Doch wann genau liegt ein „bedeutender Schaden“ vor? Die Rechtsprechung ist in Bewegung – und die Schwelle steigt.
Die gesetzliche Grundlage
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§ 69 Abs. 1 StGB: Entziehung, wenn der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.
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§ 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB: Regelfall bei Unfallflucht (§ 142 StGB), wenn der Täter weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall
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ein Mensch getötet,
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erheblich verletzt oder
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an fremden Sachen ein bedeutender Schaden entstanden ist.
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Die Höhe dieses „bedeutenden Schadens“ ist nicht im Gesetz festgelegt. Sie wird durch die Rechtsprechung bestimmt – und passt sich den wirtschaftlichen Entwicklungen an.
Entwicklung der Wertgrenze in der Rechtsprechung
1. Frühe OLG-Rechtsprechung: 1.300 €
Seit den frühen 2000er Jahren war es herrschende Meinung, dass ein bedeutender Schaden bereits bei 1.300 € vorliegt. Hintergrund: Reparaturkosten auf diesem Niveau galten damals als klar spürbare Belastung.
2. Anhebung auf 1.500–1.600 €
Mit steigenden Preisen für Ersatzteile und Reparaturen hoben viele Gerichte die Grenze später auf 1.500–1.600 € an. Begründung: Inflation und Kostenentwicklung machten die frühere Grenze überholt.
3. BayObLG 2019: 1.903,89 € netto reichen
BayObLG, Beschluss vom 17.12.2019 – 204 StRR 1940/19 (DAR 2020, 268)
In diesem Fall ging es um einen Parkunfall, bei dem Reparaturkosten von 1.903,89 € netto anfielen. Das BayObLG stellte klar:
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Ein solcher Betrag stellt jedenfalls einen bedeutenden Schaden dar.
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Ein Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB lag vor → die Fahrerlaubnis wurde entzogen.
Das Gericht verzichtete bewusst darauf, eine feste neue Grenze zu ziehen, stellte aber klar, dass die 1.900 € im Ergebnis ausreichen.
4. LG Nürnberg-Fürth und LG Landshut: 2.500 €
Bereits seit Jahren sprechen sich LG Nürnberg-Fürth und LG Landshut für eine deutliche Anhebung auf 2.500 € netto aus. Argumente:
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Reparaturkosten sind massiv gestiegen, insbesondere bei modernen Fahrzeugen mit komplexer Elektronik und verdeckten Schäden.
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Es bedarf einer klaren und höheren Linie, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren.
5. LG Zwickau 2025: Bestätigung von 2.500 € netto
LG Zwickau, Urteil vom 24.04.2025 – 3 NBs 420 Js 8745/24
Die Strafkammer hat die Wertgrenze bei 2.500 € netto angesetzt und sich damit ausdrücklich der Linie des LG Nürnberg-Fürth angeschlossen.
Im entschiedenen Fall lag der Schaden darunter:
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Entziehung der Fahrerlaubnis schied aus.
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Stattdessen: Geldstrafe (50 Tagessätze à 40 €) und ein Fahrverbot von zwei Monaten (§ 44 StGB), das durch die Dauer des vorläufigen Entzugs bereits erledigt war.
Begründung:
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Inflation,
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allgemeine Einkommensentwicklung,
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steigende Reparaturkosten.
Die Kammer betonte, dass die früheren Schwellen von 1.500–1.600 € nicht mehr zeitgemäß seien.
Fazit der Rechtsprechung: Uneinheitlich, aber mit steigender Tendenz
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Früher: 1.300 €
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später: 1.500–1.600 €
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BayObLG: 1.900 € reichen
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LG Nürnberg-Fürth, LG Landshut, LG Zwickau: 2.500 € netto
Die Linie ist eindeutig: Die Grenze steigt. Doch solange der Bundesgerichtshof nicht entscheidet, bleibt es bei einer zersplitterten Rechtsprechung. Für Betroffene hängt viel davon ab, vor welchem Gericht sie landen.
Praxisfolgen für Betroffene
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Grauzone zwischen 1.800 und 2.500 €: Hier bestehen realistische Chancen, einen Fahrerlaubnisentzug zu vermeiden – sei es durch Infragestellung der Reparaturkosten oder durch Betonung der subjektiven Erkennbarkeit.
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Subjektiver Maßstab entscheidend: § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB verlangt, dass der Täter weiß oder wissen kann, dass ein bedeutender Schaden entstanden ist. Nicht immer lässt sich das am Unfallort erkennen.
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Alternative Fahrverbot: Fällt der Regelfall weg, kann das Gericht statt der Entziehung ein Fahrverbot nach § 44 StGB verhängen. Das ist in aller Regel die mildere Sanktion.
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Regionale Unterschiede: Während in Bayern schon bei unter 2.000 € der Führerschein gefährdet ist, wird in Sachsen oder Franken erst ab 2.500 € von einem Regelfall ausgegangen.
Zusammenfassung
Die Frage nach dem „bedeutenden Schaden“ ist weit mehr als eine juristische Feinheit: Sie entscheidet über den Führerscheinverlust. Die Entwicklung zeigt klar, dass die Grenze mit der wirtschaftlichen Realität Schritt hält – sie steigt. Doch einheitlich ist die Linie nicht, was Verteidigungsspielräume eröffnet.
Wer mit einem Schaden in der kritischen Spanne zwischen 1.800 und 2.500 € konfrontiert ist, sollte die Höhe der Reparaturkosten, die Berechnungsweise (netto/brutto) und die subjektive Erkennbarkeit durch den Fahrer genau prüfen lassen.
Beratung im Verkehrsrecht
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