Rotlichtverstoß trotz Grün? – Wann das Überfahren der Haltelinie zu Problemen führt
Ein Rotlichtverstoß gehört zu den schwerwiegenden Verkehrsordnungswidrigkeiten. Neben einer hohen Geldbuße droht in vielen Fällen ein Fahrverbot, Punkte in Flensburg und eine empfindliche Verlängerung der Probezeit.
Doch nicht immer ist der Fall so eindeutig, wie es zunächst scheint. Die Gerichte beschäftigen sich regelmäßig mit Konstellationen, in denen ein Autofahrer zwar bei Grün die Haltelinie überfährt, aber aufgrund von stockendem Verkehr oder Unsicherheit erst später in die Kreuzung einfährt – dann aber bereits bei Rot. Eine aktuelle Entscheidung verdeutlicht, wie schnell man sich in einer solchen Situation einem Rotlichtverstoß ausgesetzt sehen kann.
Der Ausgangsfall: Halt hinter der Ampel – Unfall beim Abbiegen
Eine Autofahrerin näherte sich in den frühen Morgenstunden einer Kreuzung. Sie überfuhr die Haltelinie noch bei Grün, kam jedoch kurz hinter der Ampel wegen zähfließenden Verkehrs zum Stehen.
Nach einigen Sekunden löste sich die Stockung. Währenddessen hatte der Querverkehr bereits mehrere Sekunden Grün und bewegte sich ungebremst durch die Kreuzung. Als die Fahrerin schließlich einbog, kollidierte sie mit einem bevorrechtigten Fahrzeug.
Das Amtsgericht verurteilte sie wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 240 € und verhängte ein einmonatiges Fahrverbot. Auf ihre Rechtsbeschwerde hob das Obergericht dieses Urteil auf – allerdings nicht, weil es den Rotlichtverstoß für ausgeschlossen hielt, sondern weil die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft waren.
Rechtlicher Hintergrund: Wann liegt ein Rotlichtverstoß vor?
Die Straßenverkehrs-Ordnung (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO) bestimmt klar: Bei Rot gilt Halt vor der Kreuzung.
Das bedeutet:
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Überfahren der Haltelinie allein genügt nicht. Ein Rotlichtverstoß liegt erst dann vor, wenn ein Fahrer in den durch das Rotlicht geschützten Kreuzungsbereich einfährt.
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Kreuzungsräumerprivileg: Wer bereits im Kreuzungsbereich steht, darf diesen grundsätzlich auch dann noch räumen, wenn die Ampel auf Rot schaltet. Das gilt nicht für Fahrer, die sich noch im Bereich zwischen Haltelinie und Kreuzung befinden.
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Pflicht zur Vorsicht bei verdeckter Ampel: Selbst wenn die Ampel aus der neuen Position nicht mehr sichtbar ist, muss der Fahrer damit rechnen, dass sie inzwischen auf Rot umgeschaltet hat.
Was zählt zum „Kreuzungsbereich“?
Entscheidend ist die Abgrenzung des Kreuzungsbereichs. Die Rechtsprechung orientiert sich hier an den sogenannten Fluchtlinien der Kreuzung. Dabei gilt:
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Der geschützte Bereich umfasst nicht nur die Fahrbahn für Fahrzeuge, sondern auch Fußgängerüberwege und Radwege.
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Wer sich bereits mit Teilen des Fahrzeugs in einer Fußgängerfurt oder auf einem Radweg befindet, hat den Kreuzungsbereich bereits erreicht.
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Erst wenn sich das Fahrzeug vollständig außerhalb dieses Bereichs befindet, liegt noch kein Einfahren in den Kreuzungsbereich vor.
Die Gerichte müssen daher im Einzelfall präzise feststellen, wo genau sich das Fahrzeug beim Umschalten der Ampel befand. Diese Feststellungen fehlten im aufgehobenen Urteil – es blieb unklar, ob die Autofahrerin tatsächlich noch vor oder bereits im Kreuzungsbereich stand.
Warum das Urteil aufgehoben wurde
Das Obergericht bemängelte, dass das Amtsgericht die örtlichen Gegebenheiten nur unzureichend beschrieben hatte. Es hieß lediglich, das Fahrzeug habe nicht in die Querstraße „hineingeragt“. Doch das sagt nichts darüber aus, ob die Fahrerin vielleicht bereits eine Fußgängerfurt oder Radspur überfahren hatte.
Ohne diese Feststellungen ist eine rechtliche Prüfung nicht möglich. Denn:
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Wenn sie noch vor dem Kreuzungsbereich stand, war ihr spätere Fahrt bei Rot ein Rotlichtverstoß.
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Wenn sie bereits im Kreuzungsbereich war, konnte sie keinen Rotlichtverstoß mehr begehen, sondern hätte sich allenfalls eines Verstoßes gegen § 1 StVO (allgemeine Rücksichtnahme) schuldig gemacht.
Bedeutung für Autofahrer
Die Entscheidung zeigt:
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Rotlichtverstöße sind keine bloßen Formalien. Die genaue Position des Fahrzeugs ist entscheidend.
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Schon wenige Meter oder Zentimeter können bestimmen, ob ein Fahrverbot verhängt wird oder nicht.
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Wer hinter der Ampel wartet, darf nicht automatisch davon ausgehen, dass er „sicher“ ist. Sobald die Ampel umschaltet, gilt das Rotlicht – auch wenn man es selbst nicht mehr sieht.
Verteidigungsmöglichkeiten im Bußgeldverfahren
Für Betroffene eröffnet sich ein Verteidigungsspielraum:
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Fehlende Feststellungen: Wenn das Gericht nicht exakt klärt, wo sich das Fahrzeug beim Umschalten befand, kann das Urteil angreifbar sein.
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Örtliche Gegebenheiten: Skizzen, Fotos oder Videos können helfen, die Position des Fahrzeugs zu belegen.
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Zeugen und Unfallspuren: Auch Beobachtungen Dritter oder polizeiliche Unfallaufnahmen können entscheidend sein.
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Alternativbewertung: Befand sich der Betroffene bereits im Kreuzungsbereich, kommt statt eines Rotlichtverstoßes nur ein anderer, oft milder zu ahndender Verstoß in Betracht.
Gerade in Verfahren mit Fahrverbot lohnt es sich, die Rechtslage genau prüfen zu lassen.
Fazit
Ein Rotlichtverstoß liegt nicht nur dann vor, wenn jemand bei Rot über die Haltelinie fährt. Auch das Überfahren bei Grün und das spätere Einfahren bei Rot kann zum Verstoß führen – sofern sich das Fahrzeug noch vor dem Kreuzungsbereich befand.
Für Autofahrer bedeutet das: Anhalten hinter der Ampel ist riskant. Wer erst später in die Kreuzung einfährt, kann hart bestraft werden. Gleichzeitig müssen die Gerichte sehr genau prüfen, wo das Fahrzeug tatsächlich stand. Diese Lücken bieten Chancen für eine erfolgreiche Verteidigung.
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